Clausthal-Zellerfeld. Nein, Karnevalsorden wie im Vorjahr gab es beim Harzer Schärper in der Berg- und Universitätsstadt Clausthal-Zellerfeld diesmal nicht zu verteilen. Launig ging es aber bei der 43. Auflage allemal zu – was die rund 220 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und öffentlichem Leben hörbar genossen.
So mancher von ihnen wird sich nach Absingen fröhlicher Lieder wohl dieser Tage noch mit Heiserkeit plagen. Oder auf einen heiseren Plausch die suchende Bürgermeisterin im Städtchen treffen.
Elektronische Rettungsdienste
Als Britta Schweigel nämlich zu Prosit und Begrüßung am Freitagabend ansetzen will, huscht sie noch mal von der Bühne, weil sie ihr Manuskript verloren hat. Doch Gott sei Dank gibt es in digitalen Zeiten ja elektronische Rettungsdienste. So zückt sie kurzerhand ihr Smartphone, um dem wohlgelaunten Publikum ein wenig Einblick ins Arbeits- und Seelenleben an der Verwaltungsspitze zu geben. Nach viereinhalb Jahren ist sie noch mittendrin in ihrer Amtszeit. „Aber ich habe den Eindruck, dass der Wahlkampf für 2021 schon begonnen hat“, erzählte sie schmunzelnd.
Tja, das kommunalpolitische Leben im Oberharz ist eines der schwersten, dies hat sich über die Region hinaus längst rumgesprochen. Das liegt nicht nur an staatlichen Sparauflagen und Arbeitsverdichtung beim Personal, sondern auch an diffizilen Gemengelagen in der politischen Auseinandersetzung.
Glück auf und Prost allerseits: Der Fassanstich gebührt Professor Joachim Schachtner, der das Altenauer „Klippenbock“ dann mit Bürgermeisterin Britta Schweigel zum 43. Harzer Schärper freigibt.
Die manifestiert sich in modernen Zeiten auch gerne mal in sozialen (?) Netzwerken, plauderte Schweigel aus dem Nähkästchen: Als die Stadtverwaltung neue Öffnungszeiten via Facebook verkündete, habe sich im Handumdrehen ein Shitstorm aufgebaut, der sinngemäß in der Frage mündete, wann das Rathaus überhaupt noch mal für Bürgeranliegen zur Verfügung stehe. Der Sturm der Entrüstung sei erst verklungen, als die Verwaltung klarstellte, die Öffnungszeiten seien sogar um zwei Stunden ausgedehnt worden.
Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch
Immerhin bleibt im stressigen Alltag noch Zeit für die Rathauschefin, den Blick auch mal weit über die Grenzen der Bergstadt hinaus zu werfen: Der längste Ortsname der Welt sei nun wahrlich nicht Clausthal-Zellerfeld, verweist Britta Schweigel spitzbübisch auf einen Ort in Wales, den die Keltisch sprechenden Ureinwohner Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch nennen. Wer das nicht aussprechen kann, dem sei die deutsche Übersetzung anempfohlen: „Marienkirche in der Mulde der weißen Hasel, in der Nähe eines schnellen Strudels und der Kirche St. Tysilio bei der roten Höhle.“ Nun, damit hat die Bürgermeisterin an diesem munteren Abend auch die „Abteilung unnötiges Wissen“ tapfer abgearbeitet.
Ihr macht die Arbeit eben noch Spaß – „und zwar trotz des Rats, wie man hört“, merkt Tobias Henkel spöttisch an. Aber zur Schärperrede des Direktors der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK) kommen wir ein paar Zeilen später.
„Tweets als Trommel der Neuzeit“
„Worüber rede ich hier eigentlich?“, stellt sich zuvor der neue Uni-Präsident Professor Joachim Schachtner fragend ans Rednerpult – um die Antwort auf dem Fuße zu geben: „Tweets als Trommel der Neuzeit.“ Zum Zwitschern brauchte es früher viele Spatzen, heute gebe es weniger Singvögel – und deshalb Twitter, klärte der ausgewiesene Biologie-Experte Schachtner auf. Das Netzwerk „Twitter“, das sich weltweit ausgebreitet hat, damit die Nutzer „ihren Senf dazugeben“ können, und seien es die „abstrusesten Meinungen“, nutzt natürlich auch die Technische Universität Clausthal zur Verbreitung kurzer Nachrichten. Nicht ganz so oft, räumt Schachtner ein, genauer gesagt nur zweimal seit 2015, aber trotzdem verzeichnet der Twitter-Account der TU Clausthal immerhin 435 treue Follower.
Verglichen mit den 106 Millionen Twitter-Fans der US-Sängerin Katy Perry, den 103 Millionen des kanadischen Sangesbruders Justin Bieber oder den knapp 67 Millionen von US-Präsident Donald Trump ist die stolze Bergstadt-Uni bei Twitter wie ein Sandkorn in der Wüste. Aber Trump mag zugleich als Beweis für Professor Schachtners treffliche wissenschaftliche Analyse dienen: „Manche Tweets sind tatsächlich wie eine Plastikflasche im Meer – schöne Verpackung, aber wenig Inhalt.“
Inhaltsschwere Kost
Vorgeblich inhaltsschwere Kost hat derweil Tobias Henkel im Gepäck. Die Bürgermeisterin hat ihm eine „launige Rede“ aufgetragen, doch es wollte ihm dazu angeblich partout nichts einfallen. Zumal der braunschweigische Stiftungsdirektor auch keine karnevalistische Frohnatur ist: „Nein, ich bin nicht lustig.“ Deshalb holt er zunächst mal den Holzhammer raus: „Spießig und dunkel“ sei der Harz in der Wahrnehmung vieler Nicht-Harzer: „Menschen auf Inseln und auf den Bergen haben etwas gemeinsam: Man hat immer das Gefühl, dass die Durchreisenden stören.“
Für solche Empfindungen hält Henkel auch gleich zwei vielsagende Belege parat: Da spukt bei manchen noch immer der 14 Jahre alte Werbe-Clip der Postbank umher, die Kunden endlich mal den Urlaubskredit für Mallorca vermitteln möchten, denn bislang sei das Pärchen immer nur in den Harz gefahren. Obendrauf lässt Henkel freimütig die Geschichte von einer Ausflugsgruppe folgen, die vor 35 Jahren zum Skilaufen in den Oberharz aufbrach. Im Gasthaus „hat dann einer versucht, die Tische zusammenzuschieben“ – was mit Hausverbot in Polizeibegleitung endete.
Demjenigen, der solche Szenen mit dem Harz verbindet, „habe ich heute gesagt, dass sich bestimmt etwas verändert hat“, macht Henkel der versammelten Schärper-Festgesellschaft Hoffnung. Um augenzwinkernd anzufügen: „Je näher ich heute Clausthal kam, umso banger wurde mir, dass er das überprüfen würde.“
Zur Erlösung kommt Henkel dann aufs Renommee der TU Clausthal zu sprechen, auf viele fleißige Menschen und innovative Harzer Unternehmen – und die Grosse’sche Buchhandlung. Denn die sei wahrlich ein großartiger Werbeträger für Clausthal. Den politischen Ratsleuten gibt Henkel noch mahnend auf den Weg, das Oberharzer Bergwerksmuseum als wichtigen Baustein im Welterbe-Netzwerk nicht zu vergessen.
Henkels Botschaften sind deutlich, gleichermaßen humorvoll, mitunter faustisch wie in einer Büttenrede konzipiert. Was plötzlich die heimliche Frage aufkeimen lässt, ob der Mann vielleicht doch Verwandte im Rheinland haben könnte – oder zumindest vielleicht den Braunschweiger Karnevalsorden.
Traditionsreiches Event
So bleibt nach diesem fröhlichen und traditionsreichen Event mit reichlich Altenauer „Klippenbock“ und deftigem Essen mit Tscherper-Messer, noch weiteren Protagonisten im Glückauf-Saal zu huldigen: Wolfgang „tz“ Schütze für seine Liedtexte, Martin Ksink als kraftvollem Vorsänger, Kirchenkantor Arno Janssen, den Oberharzer Bergsängern, Manfred Steinborn für den inbrünstigen Clausthaler Mitternachtsschrei – und den fleißigen Helfern aus der Stadtverwaltung, die sich zumindest an diesem Abend mal nicht mit Ratsanfragen oder Shitstorms bei Facebook auseinandersetzen mussten.
Artikel erschienen in der Ausgabe der Goslarschen Zeitung vom 25.11.2019